Freiheit – aber wofür? Festvortrag anlässlich der Jahrestagung des BKR 2025

BKR-Meldung: Festrede von Prof. Dr. Sven-Joachim Otto beim Festkommers 2025

Beim diesjährigen Festkommers des BKR hielt unser Vorsitzender Prof. Dr. Sven-Joachim Otto die Festrede mit dem Titel:

„Freiheit – aber wofür? Europas Zukunft zwischen Beliebigkeit und Bindung“

Wir dokumentieren den vollständigen Wortlaut.

„Freiheit – aber wofür? Europas Zukunft zwischen Beliebigkeit und Bindung“

Prof. Dr. Sven-Joachim Otto

  1. Begrüßung – Feierlicher Auftakt

Hohes Präsidium,
verehrte Damen,
liebe Mitglieder und Freunde unseres Bundes, liebe Cartell – und Farbenbrüder, liebe Schwestern und Brüder in Christus,

es ist mir eine Freude und Ehre, an diesem Abend im Rahmen unseres Kommerses sprechen zu dürfen.

Ein solcher Abend ist kein bloß nostalgisches Ritual. Er ist ein Zeichen geistiger Kontinuität in einer Zeit, die fast alles zur Beliebigkeit erklärt hat.

Wir sind hier nicht zusammengekommen, um Vergangenheit zu feiern,
sondern um Zukunft zu bekennen – die Zukunft einer Freiheit, die mehr ist als Selbstverwirklichung.
Einer Freiheit, die Verantwortung kennt, Maß, Haltung – und Glauben.

2. Freiheit – Das missverstandene Ideal

„Freiheit“ – welch großes Wort. Es ziert Verfassungen, Resolutionen und Wahlprogramme.

Doch wenn wir ehrlich sind: Was meinen wir heute damit?

Freiheit ist zu einem leeren Signum geworden.
Sie bedeutet für die einen Unabhängigkeit, für die anderen Ungebundenheit –
für viele einfach: tun, was man will.

Doch eine solche Freiheit ist nur halbe Freiheit.
Sie kennt kein Ziel, nur Bewegung. Kein Sinn, nur Optionen.

Wir sind frei von allem – auch von Orientierung.

Und genau das ist das Paradox unserer Zeit:
Nie war Europa so frei, und doch nie so erschöpft.

3. Freiheit in der Geschichte – Vom Logos zur Beliebigkeit

Die alten Griechen verstanden Freiheit als Fähigkeit zur Vernunft.
Aristoteles sagte: „Frei ist, wer sich selbst beherrscht.“
Freiheit war nicht Willkür, sondern Selbstformung.

Die Römer machten daraus Ordnung: libertas bedeutete Teilhabe am Gemeinwesen –
nicht Loslösung, sondern Verantwortung.

Und das Christentum schließlich gab dieser Freiheit eine Seele:

Freiheit als Antwort auf Berufung,
Freiheit als Bindung an das Gute,
Freiheit als Weg zur Wahrheit.

Der Heilige Paulus schreibt: „Zur Freiheit hat uns Christus berufen.“
Das heißt: Wir sind befreit zu etwas – nicht von allem.

4. Der moderne Mensch – Emanzipiert und entwurzelt

Mit der Neuzeit kam der Bruch.

Der Mensch entdeckte sich selbst – und verlor sich zugleich.

Die Aufklärung rief: „Sapere aude – Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“
Das war groß – und gefährlich zugleich.

Denn dieser Verstand begann bald, sich selbst zum Maßstab zu machen.
Er löste sich von der Wahrheit, die größer ist als er.

So entstand jene Autonomie ohne Transzendenz,
die uns heute in den moralischen Relativismus geführt hat.

Wir haben gelernt, „selbst zu denken“ –
aber verlernt, über uns hinaus zu denken.

5. Europa – Das Projekt einer geistigen Ordnung

Europa war von Anfang an mehr als ein geografischer Begriff.
Es war eine Idee, geboren aus drei Quellen:

– der griechischen Vernunft,
– dem römischen Recht und
– dem christlichen Glauben.

Diese drei – Vernunft, Recht und Glaube – bildeten das Fundament der europäischen Freiheit.
Nicht als Gegensätze, sondern als Ergänzungen.

Nach den Katastrophen des 20. Jahrhunderts wollte man dieses Erbe bewahren –
in Gestalt der Europäischen Gemeinschaft, später Union.

Was für ein großartiges Ziel!
Frieden, Zusammenarbeit, gemeinsame Werte.

Doch die große Idee hat unterwegs ihre Seele verloren.

6. Die Entfremdung Europas – Von der Gemeinschaft zur Bürokratie

Europa wollte Einheit in Vielfalt.
Entstanden ist Gleichmacherei in Bürokratie.

Was als Schutzraum für Freiheit begann,
ist zu einem Regelwerk für Lebensstile geworden.

Heute entscheidet die EU-Kommission,
wie wir wirtschaften, wie wir heizen,
bald auch, was wir sagen dürfen –
und vor allem: was wir nicht mehr sagen sollen.

Das ist kein Fortschritt, das ist Vormundschaft.

Europa, das sich einst gegen Fremdherrschaft erhob,
bevormundet nun seine eigenen Bürger.

7. Kompetenzverlagerung – Das stille Ende der Souveränität

Die Europäische Union greift längst in Bereiche ein,
die nie Teil eines europäischen Mandats waren.

Sie reguliert Familienrecht, Arbeitsmarkt, Energieversorgung, Landwirtschaft, Migration.
Sie erlässt verbindliche Normen, ohne dass nationale Parlamente wirklich mitreden.

Was als Wirtschaftsgemeinschaft begann, ist zu einer Rechtsgemeinschaft ohne Grenzen geworden.

Der Europäische Gerichtshof interpretiert seine Zuständigkeit immer weiter –
und das Europäische Parlament ersetzt nicht die demokratische Verantwortung der Mitgliedstaaten.

Das Ergebnis:

Der Bürger fühlt sich ohnmächtig –
und jene, die sich „proeuropäisch“ nennen, verstehen gar nicht, warum.

8. Demokratiedefizit – Wenn Institutionen größer werden als Ideen

Wir erleben ein Europa der Verfahren, nicht der Überzeugungen.
Ein Europa der Ausschüsse, nicht der Charaktere.

Die Union schafft Richtlinien, Verordnungen, Programme –
aber kaum Begeisterung.

Es ist, als hätte man den Geist der Freiheit in Aktenordner abgelegt.

Die Gefahr ist real:
Wenn Bürger das Gefühl verlieren, dass ihre Stimme etwas zählt,
wird die Demokratie zur Formalie.

Und das ist der Moment, in dem Populismus zur Versuchung wird.

9. Die neue Versuchung: Der technokratische Mensch

Wir glauben heute an die Allmacht der Verwaltung.

Alles scheint regelbar, alles kontrollierbar –
sogar Moral.

Doch Freiheit ist kein Algorithmus.

Sie lebt von Vertrauen, nicht von Kontrolle.
Von Haltung, nicht von Formularen.

Die EU kann Werte proklamieren,
aber sie kann keinen Glauben stiften.

Sie kann Rechte gewähren,
aber keine Tugend lehren.

Und ohne Tugend wird Freiheit zur Last.

10. Die katholische Antwort – Bindung als Quelle der Freiheit

Hier, liebe Bundesbrüder, beginnt unser Auftrag.

Unsere katholischen Verbindungen wissen,
dass Freiheit nicht in der Loslösung liegt,
sondern in der Verwurzelung.

Wir sind nicht schlagend –
und das ist kein Zeichen der Schwäche,
sondern des Prinzips.

Denn unser Kampf ist nicht mit der Klinge,
sondern mit dem Wort, mit dem Geist, mit dem Glauben.

Wir stehen in der Tradition der katholischen Soziallehre:

Freiheit in Verantwortung,
Selbstbestimmung in Solidarität,
Würde in Wahrheit.

Diese Form des Lebens ist kein Anachronismus –
sie ist Gegenentwurf zur Beliebigkeit unserer Zeit.

11. Die Krise der Demokratie – Wenn Freiheit zur Gleichgültigkeit wird

Unsere Demokratie steht heute nicht am Abgrund,
aber sie steht im Nebel.

Sie leidet nicht am Mangel an Rechten,
sondern am Mangel an Überzeugungen.

Wir haben Verfahren perfektioniert –
aber vergessen, wozu sie dienen.

Wir halten Wahlen ab,
aber keine Debatten mehr über das Gute.

Wir fordern Teilhabe –
aber ohne Verantwortung.

Und währenddessen verwandelt sich Freiheit in Anspruchsdenken,
Verantwortung in Empörung,
und Meinung in Moralismus.

Wenn wir so weitermachen,
wird Demokratie zur bloßen Simulation.

12. Europa steht an einem Wendepunkt.

Wird es Kontinent der Überzeugungen bleiben –
oder Museum der Möglichkeiten?

Wird es noch eine gemeinsame Idee geben –
oder nur noch gemeinsame Richtlinien?

Wir dürfen nicht zulassen,
dass Europa sich in einem Meer von Gleichgültigkeit auflöst.

Denn wo alles erlaubt ist,
ist am Ende nichts mehr wert.

Beliebigkeit ist nicht Toleranz –
sie ist moralische Kapitulation.

13. Die Aufgabe unserer Generation

Was heißt das für uns?

Es bedeutet: Wir müssen den Mut haben,
wieder über Wahrheit zu sprechen.

Über das, was richtig ist –
nicht nur über das, was funktioniert.

Wir müssen uns erinnern,
dass Freiheit kein Selbstzweck ist,
sondern Dienst am Guten.

Und wir müssen jungen Menschen vermitteln,
dass Bindung keine Schwäche ist,
sondern Stärke.

Denn nur wer gebunden ist, kann tragen.

14. Ein persönliches Bekenntnis

Ich selbst bin in einer katholischen Verbindung groß geworden.

Ich habe dort gelernt,
dass Freundschaft Verpflichtung bedeutet,
dass Freiheit Disziplin braucht,
und dass man im Leben nicht jedem Wind folgt.

Diese Prägung war nie bequem,
aber sie war tragfähig.

Sie lehrt, dass man im Zweifel nicht fragt:
„Was nützt mir das?“,

sondern: „Was ist richtig?“

Genau diese Haltung braucht Europa heute.

15. Nach vorn zur Quelle – Erneuerung statt Rückzug

Europa braucht keine Revolution,
sondern Rückbesinnung –
auf seine geistige Quelle.

Auf den Glauben,
dass Wahrheit existiert,
dass Würde unverfügbar ist,
und dass Freiheit Verantwortung voraussetzt.

Das ist keine Rückkehr ins Mittelalter,
sondern ein Schritt in die Zukunft.

Denn eine Gesellschaft ohne Wahrheit
zerfällt an ihrer Beliebigkeit.

16. Schluss: Freiheit – aber wofür?

Meine Damen und Herren, liebe Bundesbrüder,

wir haben gelernt, wovon wir frei sein wollen.
Jetzt müssen wir neu lernen,
wofür wir frei sind.

Wir sind frei, um das Gute zu tun.
Frei, um Verantwortung zu übernehmen.
Frei, um uns zu binden – an Wahrheit, an Gemeinschaft, an Gott.

Das ist die Freiheit, die trägt.

Papst Benedikt XVI. hat gesagt:

„Freiheit braucht die Bindung an das Gute, sonst zerstört sie sich selbst.“

Mögen wir das nicht vergessen –
in unseren Häusern, in unseren Universitäten,
in Brüssel, Berlin – und in unseren Herzen.

Denn die Zukunft Europas wird nicht in Kommissionen entschieden,
sondern in der Seele freier Menschen.

Und diese Freiheit beginnt nicht mit einem Recht –
sondern mit einer Haltung.

Veritas liberabit vos – die Wahrheit wird euch frei machen.

Ich danke Euch!

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